Bernd Lohmeyer
ROI-Berechnung einer Fachapplikation
Schon der Artikel Usability verkaufen steuert auf das Thema ROI hin. Wir müssen die Sprache unserer Partner sprechen. Hierzu gehört es, klare Zahlen auf den Tisch legen zu können. Wie hoch wird die Ersparnis durch den Einsatz von User Experience Design (UX) sein? Das ist immer eine schwierige Frage. Doch wir müssen sie zumindest näherungsweise beantworten, um unseren Gesprächspartner -beispielsweise den Unternehmensvorstand- für UX begeistern zu können.
Zu diesem Zweck möchte ich den Return On Investment (ROI) hinsichtlich verschiedener Kennzahlen betrachten. Gegenstand soll eine Fachapplikation sein, anhand der ich ein kleines Zahlenspiel durchführen möchte. Fachapplikation? Das ist eine Anwendung, die nicht im Web einer Millionen von Menschen zur Verfügung steht. Fachanwendungen sind vielmehr Anwendungen, die von einem kleinen Anwenderkreis innerhalb eines Unternehmens eingesetzt werden. Ja, auch dafür lohnt es sich, in Usability zu investieren.
Nehmen wir also mal folgendes an:
Ein Unternehmen lässt eine Anwendung entwickeln. Der geplante Aufwand beträgt 1.000 Tage. Es sind zehn Entwickler ca. ein halbes Jahr beschäftigt. Die Anwendung soll von 300 Nutzern tagtäglich acht Stunden verwendet werden. Die Applikation ist somit das Hauptarbeitsmittel der Fachanwender. Sagen wir mal, es handelt sich um Sachbearbeiter einer Versicherung, die das Bestandsgeschäft verwalten. Ein Standardanwendungsfall (Use case) dauert fünf Minuten. Der interne Kostensatz pro Sachbearbeiter pro Tag wird mit EUR 400,- festgesetzt. Ein Entwickler kostet EUR 900,- und ein Usability-Experte EUR 1000,- pro Tag.
Also das sind die Parameter:
1000 Tage Entwicklung zum Tagessatz von EUR 900,-
300 Anwender
180 Tage pro Anwender pro Jahr (Rest ist Urlaub etc.) zum Tagessatz von EUR 400,-
Was sind aber die Ziele unserer neuen Anwendung? Welche Potenziale gilt es zu optimieren? Was ist die Messlatte, die wir überspringen wollen?
Für Anwendungen wie die beschriebene gibt es im Wesentlichen folgende Erfolgskriterien:
Reduzierung der Entwicklungskosten
Produktivitätssteigerung
Senkung des Schulungsaufwands
Neben der Entlastung des User Help Desks und der Steigerung der Datenqualität gibt es natürlich noch weitere Erfolgsfaktoren wie ich sie auch in dem Artikel über “Usability verkaufen” erwähnt habe. Der Einfachheit halber möchte ich mich hier aber auf diese drei beschränken.
Reduzierung der Entwicklungskosten
Nachdem die Eingangsvoraussetzungen nun beschrieben sind, kann es eigentlich losgehen. Doch, wie messen wir nun die positiven Effekte, die durch UX erreicht werden können? Durch den Vergleich zur selben Entwicklung ohne UX-Engagement. Betrachten wir zuerst die Entwicklungskosten. Berufenere Personen als ich proklamieren, man solle mindestens zehn Prozent der Entwicklungskosten in Usability investieren. Um das Beispiel noch drastischer zu machen, werde ich nun diese zehn Prozent den 1000 Tagen hinzuschlagen (also nicht 90%+10% sondern 100%+10%). Wir werden sehen, dass es sich trotzdem lohnt.
In welchem Punkt wirkt sich UX positiv auf die Entwicklung auswirkt? Es werden unerwartete Änderungen am Design oder der Benutzerführung vermieden bzw. leichte Änderungen in eine frühere Projektphase verschoben. Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Meine Erfahrung zeigt, dass sich die Fehlerentdeckungsquote von UX/Usability-Problemen folgendermaßen darstellt:Projektphaseohne UX in %mit UX in %Spezifikation010Design060Implementierung3025Test503Stabilisierung / Wartung202
Man muss sich dabei vergegenwärtigen, dass die Behebung eines Fehlers desto teurer wird, je später sie im Projekt in Angriff genommen wird. Kostet das Korrigieren eines Fehlers in der frühen Designphase beispielsweise nur einen Tag, kann das bis zu 50 Tagen in der fortgeschrittenen Entwicklungsphase oder sogar bis zu 100 Tagen anwachsen, wenn das Produkt bereits ausgeliefert worden ist. Die folgende Grafik zeigt die Fehlerkorrekturkosten von UX-Problemen in Abhängigkeit von der Projektphase.

Aufwand der Fehlerkorrektur nach Projektphase
Weiterhin müssen wir uns aber noch anschauen, über welche Menge an Fehlern wir hier überhaupt sprechen. Grundsätzlich gilt, je größer das Projekt ist, desto mehr Usabiliy-Probleme werden auftauchen. Leider ist das aber keine lineare Funktion. Wenn in einem 200-Tage-Projekt 100 Probleme auftauchen, heißt das nicht, dass in einem 1000-Tage-Projekt 500 Stolpersteine aus dem Weg zu räumen sind. Glücklicherweise! Irgendwann sind einfach alle Basis-Fehler gemacht. Die Kurve steigt also mit zunehmender Projektgröße etwas flacher an.

Anzahl der Usability Probleme nach Projektgrösse
Die Komplexität der Fehlerbehebung wird nicht nur durch die Projektphase, in der sie begonnen wird, gesteuert, sondern auch die Projektgrösse. Sie wird desto komplexer je größer das Projekt ist. Das hängt mit den zunehmenden Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Produktbestandteilen zusammen.

Aufwand der Fehlerkorrektur nach Projektgrösse
Wollen wir nun die verschiedenen Parameter zusammen wirken lassen. Die Abbildung stellt den Aufwand in EUR für die verschiedenen Projektphasen dar. Sie stellt das Vorgehen ohne Usability-Methoden (orange) dem mit Usability (grün) gegenüber.

Aufstellung der Reparaturkosten mit und ohne Usability
Durch die Vorverlagerung der Fehlerkorrektur senken wir die Korrekturkosten von durchschnittlich EUR 4.300,- auf gut EUR 600,-. Das ist wirklich signifikant und bringt in der Summe eine Ersparnis von ca. EUR 425.000,-.
Senkung der Entwicklungskosten ==> EUR 425.000,-
Und das, obwohl ich den entsprechenden Aufwand für UX / Usability sogar on Top gerechnet habe. Also nicht 90%+10% sondern 100%+10%.
Lassen sie uns die UX-Effekte bezüglich der Entwicklungskosten zusammenfassen:
Vermeiden von Usability-Fehlern
Identifizieren der Usability-Stolpersteine in einer früheren Projektphase
dadurch Senkung der Reparaturkosten
Der Einsatz von UX hat sich aus Sicht des Projektbudgets gelohnt. Und der verantwortliche Projektmanager kann sich trotzdem freuen, die Entwicklungskosten für dieses Projekt deutlich gesenkt zu haben.
Hinzu kommt noch ein weiterer Aspekt. Durch den Einsatz von UX-Methoden kann das Team die wirklich wichtigen Funktionen identifizieren und diese entsprechend priorisieren. Bestimmte Funktionen werden vielleicht gar nicht in der Form gebraucht, wie ursprünglich gedacht. Das kann den Entwicklungsaufwand deutlich reduzieren.
Es geht eben nicht nur darum, die Dinge richtig zu machen, sondern auch die richtigen Dinge zu machen.
So, das waren bisher nur die Entwicklungskosten. Doch es geht weiter. Spätestens jetzt sollten Vorstandsmitglieder aufmerken.
Produktivitätssteigerung, das macht den ROI
Als ich diese Kalkulation aufstellte, war mir selbst nicht ganz klar, welch gravierende Auswirkungen UX auf den ROI bezüglich der Produktivität haben kann. Es sei noch mal daran erinnert, dass ich hier eine innerhalb eines Unternehmens zu verwendende Fachanwendung betrachte. Im Gegensatz zu Onlineshops im B2C ist die Produktivität der Mitarbeiter das A und O für ein erfolgreiches Geschäftsmodell. Ich möchte an dieser Stelle nicht in moralische Diskussionen verfallen. Es geht hier um’s Geschäft. Und dafür werden die Entscheidungsträger, die uns UX Professionals beauftragen, bezahlt. Also noch mal zurück zu den Eingangsggrößen:
300 Sachbearbeiter
EUR 400,- pro Sachbearbeiter pro Tag
Ein Sachbearbeiter ist 180 Tage pro Jahr im Büro.
Der Standardgeschäftsvorfall dauert 5 Minuten.
Wenn man nun den Standard Use Case lediglich um 2% optimiert, bedeutet das eine Zeitersparnis von 6 Sekunden pro Use Case. Das klingt banal. Aber rechnen wir das mal zusammen. Eine Produktivitätssteigerung von 2% bringt eine Ersparnis von:
300 Sachbearbeiter * 180 Tage * Tagessatz EUR 400,- / 100 * 2 = EUR 432.000,-
Produktivitätssteigerung ==> EUR 432.000,-
So, Herr CIO, haben oder nicht haben?
Obwohl wir in dieser Berechnung die Produktivitätssteigerung sehr konservativ nur mit 2% angesetzt haben, kommt da eine Menge Geld zusammen. Wie verwenden wir dieses Argument? Jetzt könnte man gleich loslegen und Stellen streichen. Aber Vorsicht liebe Leser. Das kann komplett nach hinten losgehen.
Produktivitätssteigerung argumentieren
Haben sie den CEO vor sich, mögen Stellenstreichungen ein gutes Argument sein. Wie gesagt, ich möchte hier dem Manchester-Kapitalismus nicht das Wort reden. Möchte Euch Leser aber auf dieses Argument vorbereiten. Es wird kommen. Also werden x Stellen gestrichen. Na super, UX. Man kann das ganze Spielchen aber auch umdrehen. Es werden nun Kapazitäten frei, die für andere Aspekte verwendet werden können. Mitarbeiter werden entlastet und die Arbeitszufriedenheit steigt. Auch wenn ich diese sogenannten Soft Facts hier nicht näher beleuchte, wirken sie sich positiv auf die Fluktuationsquote und Krankenstand und somit die wirtschaftliche Unternehmenssituation aus. Die Fokussierung dieses Einsparpotenzials weg von Kostenfixierung hin zu Mitarbeiterentlastung ist besonders dann ratsam, wenn sich der Gesprächspartner über die Anzahl seiner Mitarbeiter definiert. Das ist häufig in der öffentlichen Verwaltung der Fall. Wenn man einem solchen Chef erklärt, dass er auf x Sachbearbeiter verzichten könnte, wird er nicht begeistert sein, da er seine Abteilung und somit seinen Status in Gefahr sieht. Es liegt auf der Hand: Alles ist relativ und eine Frage der Perspektive.
Senkung des Schulungsaufwands
Bei der Einführung einer Fachapplikation ist der Schulungsaufwand immer ein nicht zu vernachlässigender Posten. Wie gesagt, wir sprechen hier nicht über einen B2C-Online Shop, sondern über häufig sehr komplexe Softwarepakete. Durch UX steigt die Selbsterklärlichkeit der Software. Die Software wird intuitiver benutzt und die Lernkurve ist sehr viel steiler. Wir können daher auch den Schulungsaufwand niedriger ansetzen. Es scheint mir realistisch, einen bisher mit fünf Tagen angesetzten Schulungsaufwand pro Sachbearbeiter auf vier zu reduzieren. Das ist immerhin auch eine Einsparung von 20%. Rechnen wir:
300 Sachbearbeiter * Tagessatz EUR 400,- * 1 Tag Schulungsersparnis = EUR 120.000,-
Senkung des Schulungsaufwands ==> EUR 120.000,-
Wenn Sie nicht gerade der Schulungsverantwortliche des Unternehmens sind, ist dieses Einsparpotenzial immer ein gutes Argument. Entweder man spart Geld oder die Sachbearbeiter sind schneller wieder im operativen Geschäft. Wie man es eben betrachten möchte…
Fazit
Durch den Einsatz von UX-Methoden können wir den Return On Investment eines Projekts signifikant verbessern. Die Optimierungspotenziale sind im Wesentlichen:Senkung der EntwicklungskostenEUR 425.000,-ProduktivitätssteigerungEUR 432.000,-Senkung des SchulungsaufwandsEUR 120.000,-In SummeEUR 977.000,-
Und hier noch die etwas detailliertere Aufstellung:

Wir sehen, dass sich selbst die reinen Entwicklungskosten durch den Einsatz von UX-Methoden erheblich straffen lassen. So können wir auch den Budget-verantwortlichen Projektleiter überzeugen, auf UX zu setzen.
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