Bernd Lohmeyer
Alles ist relativ: Schieben Sie Fenster oder Objekte?
Zuerst ist es mir gar nicht aufgefallen. Als ich neulich das Betriebssystem meines MacBooks auf OS 10.7 (genannt “Lion”) aktualisiert habe, war irgendetwas anders. Aber was? Egal! Neugierig erkunde ich das System. Es sind ja viele Änderungen vorgenommen worden. Einiges finde ich richtig gut. Nur mit dem Scrollen ist das irritierend. Aber was passiert da? Wenn ich beispielsweise in einem Textdokument nach unten blättern möchte und die Finger wie gewohnt über das Trackpad nach unten ziehe, blättert das Dokument nach oben – nicht nach unten. Hm… Ist Ihnen das auch schon aufgefallen?
iOS goes Lion
Mit dem Wechsel zu OS Lion führt Apple verschiedene Features, die man von den iOS-Geräten (z.B. iPhone, iPad) kennt, auf dem Mac ein. So gibt es nun ein Launchpad, was dem Home Screen von iOS-Geräten entsprechen soll. Alles nett und hilfreich. Darüber hinaus überträgt Apple aber auch das Scroll-Verhalten vom iOS auf das Desktop-OS. Und das ist genau umgekehrt, zu dem was man von Laptops und Desktops kennt. Schauen wir uns das näher an.
Bisheriges Verhalten

Nutzen zentrierte IT-Beratung: Auf dem PC verschieben Sie den Ausschnitt, beim Tablet das Objekt
Ist ein Dokument so groß, dass es nicht vollständig sichtbar ist, verschiebt man beim PC, iMac, MacBook oder sonstigen Desktop-Geräten den sichtbaren Bereich. Man verschiebt also mit Hilfe des Scrollbars den Fensterausschnitt. Zieht man den Fensterausschnitt -sprich den Scrollbar- nach unten, kann man sich die weiter unten liegenden Dokumentteile ansehen. Das Dokument liegt sozusagen fest (blau) und der sichtbare Ausschnitt (grün) wird verschoben. Dabei ist es irrelevant, ob man das mit einer Maus am Scrollbar oder einem Trackpad macht.
Bei iOS-Geräten wie iPhone und iPad (und vermutlich auch allen anderen Handhelds und Tablets) verhält sich das umgekehrt. Wir haben einen fixen sichtbaren Bereich (wieder blau). Wenn das Dokument nicht vollständig angezeigt wird, können wir mit dem Finger das Dokument verschieben (orange).
Möchten wir im Dokument weiter unten lesen, müssen wir also bei Desktops und Laptops eine Bewegung nach unten durchführen, bei Tablets eine Bewegung nach oben.
Dieser Widerspruch hat mich bis dato nie gestört. Ehrlich gesagt, er war mir nie so aufgefallen. Das hängt, denke ich, mit dem fundamentalen Unterschied zwischen beiden Geräteklassen zusammen: Während die Manipulation bei herkömmlichen PCs ausschließlich via Tastatur, Maus und Trackpad erfolgt, bieten Tablets einen Touchscreen, der das direkte Zeigen und “Anfassen” ermöglicht. Haben wir auf der einen Seite eine mittelbare Interaktion, bieten Tablets die direkte Interaktion. Und die direkte Interaktion lässt eben das Verschieben des Objektes plausibler erscheinen.
Gut gebrüllt, Löwe! Aber…
Apple hat mit dem iOS in den letzten Jahren zweifelsohne eine sehr interessante und erfolgreiche Plattform entstehen lassen. Es liegt nahe, gute und erprobte Konzepte in die “andere Welt” der Nicht-iOS-Geräte zu übertragen. Das Launchpad und der neue Wechsel zwischen Anwendungen im echten Full-Screen-Modus durch Wischen etc. sind auch auf einem einem MacBook unter Lion eine Freude.
Bei der Übertragung des Scrollens ist Apple meines Erachtens nach aber über Ziel hinaus geschossen. Es lassen sich nicht alle Prinzipien so einfach übertragen. Ganz besonders nicht, wenn es sich bei den unterschiedlichen Geräteklassen um solche mit indirekter Manipulation und solche mit Touch-Screen handelt.
Vielleicht bin ich aber auch einfach zu altmodisch und kann meine bald 30-jährige-PC-Erfahrung nicht überwinden. Wie dem auch sei. So ganz sicher scheint sich Apple auch nicht zu sein. In den Systemeinstellungen > Hardware > Trackpad kann man die voreingestellte “Scroll-Richtung: Natürlich” deaktivieren. Somit hat man wieder das herkömmliche Verhalten.

Nutzen zentrierte IT-Beratung: OS X Lion > Systemeinstellungen für das Trackpad
Fazit
Nicht alle Mimiken lassen sich einfach übertragen. Während man auf der einen Seite eine konsistente User Experience über alle Apple-Produkte hinweg anstrebt, können dem hardware-spezifische Unterschiede entgegenstehen. Diese können dann wirkliche Usability-Schwierigkeiten verursachen. Sollte Apple aber demnächst ein MacBook oder iMac mit Touch-Screen anbieten, dürfte sich diese Diskussion erübrigt haben 😉
Wie scrollen Sie? Schieben Sie Fenster oder Objekte?